Goethes Faust lesen. – Es geht in diesem Drama um Arm und Reich, um Macht und Recht, um Erotik und Sexualität, um das Nebeneinander von Fortschritt und Nostalgie und um das Gegeneinander von Religion und Wissenschaftlichkeit, um wirtschafts- und kulturgeschichtliche Veränderungen, und umspielt werden auch die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst und Künstlertum: Goethes Faust handelt von der Entwicklung und dem Zustand der westlichen Zivilisation – unserer Zivilisation. Und dabei ist Faust weder eine trockene Abhandlung noch ein schulmeisterliches Lehrstück, sondern facettenreiche, große Dichtung. Und wenn Lesende sich in ihrer Vorstellung vergegenwärtigen, was für die Bühne geschrieben ist, erfahren sie das Drama – mit seinen überraschenden Verwandlungen der Szenerie, mit erschreckenden und belustigenden Bühnentricks, mit Show-Effekten und mit dem Aufgebot von sanft begleitender Musik oder lärmendem Gejohle – als unterhaltsames Theater.
Dieses Buch befasst sich – in überblicksartigen Analysen und in schrittweisen Kommentierungen ausgewählter Szenen – mit der Komplexität des Faust-Texts, mit dem, was im Drama geschieht, was gesagt, gezeigt und evoziert wird, mit der unkonventionellen Gestaltung der Figuren, mit der Verflechtung der Themen, und genau verfolgt wird Goethes revolutionäres Spiel mit Zeiten und Räumen. Das Buch richtet sich an literarisch interessierte Leserinnen und Leser, Theaterbesucher und -besucherinnen und auch an Theatermacher und Theatermacherinnen. Es will dazu ermuntern, sich auf die Vielschichtigkeit dieses ganz und gar unklassischen Dramas einzulassen.
Johannes Anderegg
Goethes Faust lesen
2021
ISBN 978-3-8498-1749-7
231 Seiten
kartoniert
Johannes Anderegg, Dr. phil., Dr. theol. h.c., em. o. Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität St. Gallen. Autor von Büchern zur Literaturtheorie, zur literarischen Ästhetik und zur Literatur der Goethezeit. Weitere Buchpublikationen von Johannes Anderegg im Aisthesis Verlag: Kulturwissenschaften. Positionen und Perspektiven (1999, Hg. mit Edith Anna Kunz), Transformationen. Über Himmlisches und Teuflisches in Goethes „Faust“ (2011), Lorbeerkranz und Palmenzweig. Streifzüge im Gebiet des poetischen Lobs (2015) und Literarisch gespiegelt: Die Sprache – Die Gabe – Das Böse – Die Zeit. Ein Skizzenbuch (2018).
Leseprobe: lp-9783849817497.pdf
[...] alles wird gut nachvollziehbar, in einer anschaulichen, Bildmaterial einbeziehenden, mithin leserfreundlichen Darstellungsweise vorgestellt.
Uwe Hentschel in „IFB“ (30 (2022), 1[07])
[Die Studie] richtet sich ausdrücklich an ein breiteres Publikum [...] und verzichtet deshalb auf eine eingehende Auseinandersetzung mit der Forschung und einen umfangreichen Verweisapparat. [...] Kundig und gut verständlich führt [Anderegg] den Leser durch das weitverzweigte Netz von intra- und intertextuellen Spiegelungen und Anspielungen. Insbesondere der christlich-biblische Subtext wird offengelegt und durchsichtig gemacht. Aber auch historische, literarische und kunstgeschichtliche Anspielungsformen kommen zur Sprache. [...] Bestechend sind vor allem das umfassende Wissen und die souveräne hermeneutische Klarheit, mit der die Tragödie in ihren wesentlichen Zügen und ihren weitläufigen Komplexitäten kenntlich gemacht wird. Der Gewinn für den Leser liegt in den genauen Textbeobachtungen [...] und in der Verknüpfung der Einzelteile mit dem Ganzen, das innerhalb und außerhalb des Textes einen in der Weltliteratur wohl singulär vieltönigen Echoraum bildet.
Carsten Rohde in „Goethe Jahrbuch“ (2021)