Als die besondere Leistung des Familienromans gilt die sinnfällige Verknüpfung von „Einzelschicksalen und Weltenlauf“. Auf ihren vermeintlichen Auftrag zur greifbaren Darstellung einer bestimmten historischen Realität werden infolgedessen Familienromane selbst dort reduziert, wo schon ihr Aufbau sich gegen diese Festschreibung auf einen harmlosen Realismus sperrt. Thomas Manns Buddenbrooks, Gabriel García Márquez’ Hundert Jahre Einsamkeit und Michel Houellebecqs Elementarteilchen zeichnen sich bei aller Verschiedenheit dadurch aus, dass in ihnen am Ende – ganz gegen die Realität – sowohl die Familie als auch die sie umgebende historische Welt einem merkwürdigen Untergang zugeführt werden. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Verschränkung von Familien- und Geschichtsende ist der Ausgangspunkt dieser Studie. In drei gesonderten, aber strukturgleichen Untersuchungen wird für jeden Roman dargestellt, in welcher Weise er die Widersprüche von Familie und Geschichte in sich aufnimmt und ausagiert.
Heide Lutosch
Ende der Familie – Ende der Geschichte
Zum Familienroman bei Thomas Mann, Gabriel García Márquez und Michel Houellebecq
2007
ISBN 978-3-89528-624-7
207 Seiten
kartoniert
Heide Lutosch, geb. 1972, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Freiburg und Hannover. Sie lebt und arbeitet in Leipzig.
[...] In den drei Romanen, die in dieser Studie verglichen werden, Thomas Manns „Buddenbrooks“, Gabriel García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ und Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ ist diese Haltung, wie die Autorin in drei gesonderten, aber strukturgleichen Studien nachweist, mehr als pessimistisch: Alle drei Romanfamilien gehen zugrunde. Mit ihrem Untergang geht jeweils ein Ende der Geschichte einher, das die Form der Romane sprengt.
Dieser Bruch in der Form, der bisher für keinen der drei Romane ausreichend gewürdigt wurde, kann vielleicht wirklich erst in der gewagten Zusammenschau dieser drei zeitlich, literarisch und kulturell so unterschiedlichen Romane sichtbar werden. Die genaue Untersuchung der Art und Weise, in der die formsprengende Inszenierung eines Endes von Geschichte jeweils vorbereitet, durchgeführt und künstlerisch bewältigt wird, fördert dabei Erkenntnisse zutage, die für eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Familiendiskursen von einigem Interesse sind.
In „literaturkritik.de“ (04/2008)