Autoreninfo |
Beda Allemann, geb 1926 in Olten/Schweiz, studierte Germanistik, Kunstwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich, wo er 1953 promoviert wurde und sich 1955 habilitierte. Er arbeitete als Dozent an der Freien Universität Berlin, der Ecole Normale Supérieure (Paris), der Reichsuniversität Leiden und seit 1962 an der Universität Kiel. 1964 folgte er einem Ruf nach Würzburg, seit 1967 bis zu seinem Tode 1991 lehrte er Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Bonn. Beda Allemann war Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Paul Celans.
Veröffentlichungen: Hölderlin und Heidegger (1954), Ironie und Dichtung (1956), Zeit und Figur beim späten Rilke (1961), Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte (1963). Posthum erschien: Zeit und Geschichte im Werk Kafkas (1998).
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Aus der Kritik |
[...] In über dreißig Arbeitsjahren hat Allemann ein Modell entwickelt oder vielmehr ein Muster erkannt, dass sämtliche Werke Kleists in ihrem dramatischen Kern beinhalten und dem die Kleist’schen Helden allesamt verpflichtet sind: die Antizipationsformel. [...] Werk für Werk arbeitet Allemann die Antizipationsformel in ihrer jeweiligen dramaturgischen Gestalt heraus. [...] Allemann gelingt post mortem in gewisser Weise ebenfalls eine Quadratur des Kreises, indem er einen Gutteil der bisherigen Kleist-Forschung in seiner Begrenztheit kenntlich macht. Überzeugend vermag er seinen Ansatzpunkt in jedem Werk argumentativ nachzuweisen. [...] Bei aller zu Gebote stehenden sachlich-logischen Argumentationsweise schafft er es sogar noch, mit der literarischen Entwicklungsgeschichte Kleists den Leser zu fesseln. [...] Die Kleist-Forschung ist also noch keineswegs am Ende.
Stephan Sonntag in „literaturkritik.de“ (Mai 2005)
Es berührt doppelt seltsam, heutzutage - vor dem Hintergrund engmaschiger universitärer Planungsvorgaben und sprießender literaturdidaktischer Zauberformeln - eine „neue“ Arbeit Beda Allemanns zu lesen, ein postum erschienenes, von ihm selbst in der vorliegenden Form nicht verantwortetes Werk. Neben mehreren Arbeiten zu Hölderlin hatte der langjährige Bonner Ordinarius in den sechziger Jahren einige Studien zur Lyrik der Moderne vorgelegt, zu Rilke, Benn und Paul Celan, dessen historisch-kritische Werkausgabe er als Herausgeber betreute. Aus dem Nachlaß erschienen 1998 gesammelte Aufsätze und Studien über Franz Kafka, denen die kulturwissenschaftlich avancierte Kafka-Forschung ebensowenig hat abgewinnen können wie Allemann umgekehrt ihr. Seine Lektüren waren späte Wortmeldungen einer werkimmanenten, auf Intuition und Versenkung setzenden Literaturbetrachtung.
Ebenso kontextlos und bar jeder Konjunktur hat nun Eckart Oehlenschläger aus dem Nachlaß ein weiteres Buch Allemanns ans Licht gehoben, das als veritables Großwerk des Schweizer Germanisten gelten darf und sich mit der Dramatik Heinrich von Kleists beschäftigt. Ausgerechnet Kleist: mit Kafka und Celan einer der Referenzautoren für die literaturtheoretischen Debatten der letzten zwanzig, dreißig Jahre. Und wiederum ist das meiste davon - naturgemäß, muß man sagen - an Allmanns Kleist-Lektüren fast spurlos vorbeigegangen. Gleichwohl folgen seine in chronologischer Reihe entfalteten Einzelanalysen der Stücke ausdrücklich einer thesenhaften Vorgabe, der Prämisse nämlich, daß die Entwicklung der Kleistschen Bühnenwerke sich als wachsende künstlerische Bemeisterung eines dramaturgischen Grundmodells beschreiben läßt.
Kleists Helden sind allesamt mit Visionen „geschlagen“, mit träumerischen Vorwegnahmen künftiger Liebeserfüllung oder sicher erscheinenden Kriegsglücks. Allemanns umfassende Studie rückt dieses „Prinzip der Antizipation“ pointiert, aber nicht gewaltsam ins Zentrum der Interpretation. Vor allem in der Herausarbeitung von strukturellen Ähnlichkeiten und wiederkehrenden Mustern können seine Analysen überzeugen. So träumt nicht erst der Prinz von Homburg vom greifbaren Lorbeer aus den Händen der Liebsten, so erträumen auch Penthesilea und Käthchen früh ihr späteres Schicksal.
Im griechisch-tragischen Falle der Amazone artet die unbeirrbare Fixierung auf den geliebten Gegner zur Wahnsinnstat aus, während Käthchens Starrsinn im märchenhaften Ritterspiel auf das glücklichste belohnt wird. Auch die Alkmene, auch die Eve Kleists sind durch uneinholbare dramaturgische Vorwegnahmen in ihrem Handeln festgelegt, und ähnliches ließe sich über den Normannenfürsten Robert Guiskard sagen, der vom einmal gefaßten Belagerungsplan nicht mehr abzurücken vermag. Ganz zu schweigen von Michael Kohlhaas, dem bekanntesten Prosahelden Kleists, der als leibhaftiger Racheengel die blindwütige Unbelehrbarkeit in Person darstellt.
Die zentralen Figuren Kleists stehen im Banne ihrer je schon vorgefertigten Pläne und Ziele und haben deshalb buchstäblich „keinen Spielraum mehr“. Sie lernen nie etwas hinzu, entwickeln und verändern sich nicht. „Das ideale, ausschließlich auf den Helden zugeschnittene Drama Kleists wäre so beschaffen, daß sich in ihm unablässig dieselbe Szene wiederholte.“ Ein Theater also, das, wie Allemann selbst einräumt, „zu nichts führt“. Als bühnenpraktisches „Modell“ wäre dergleichen kaum tauglich, hätte Kleist nicht zum Korrektiv eines doppelten dramatischen Durchganges gegriffen, eines spannungsreichen Zusammenspiels von „stationärem“ Heldendrama und dynamischem „Handlungsdrama“.
Meist nämlich sind die Fixierungen der Protagonisten eingebunden in symmetrisch durchgeführte Paarkonstellationen: so die verfeindeten Familienclans der Schroffensteine, die Parallelität von Diener- und Herrenpaar im „Amphitryon“, die traumhafte Korrespondenz zwischen Penthesilea und Achill, zwischen Käthchen und Graf Wetter, ja selbst und gerade zwischen Adam und Eve im „Zerbrochnen Krug“. Immer wieder stößt Allemann in den Stücken auf gegengleich konstruierte dramatische Verlaufslinien, die einander sowohl antreiben wie auch blockieren. Unschwer ließen sich manche der von Allemann herausgestellten Antizipationsszenen als klassische Anwendungsformen eines „Spiels im Spiel“ nachzeichnen, in welchen sich das Kunstmittel der Theatralität auf sich selbst zurückwendet. Mindestens ebensosehr dürfte Allemanns Blick auf Kleist inspiriert sein von Hölderlins mechanischem Schema der Waage, welches die griechische Tragödie als Ausbalancierung gegenläufiger Kräfte beschrieben hatte.
Allemann selbst ist bemerkenswert zurückhaltend, wenn es gilt, seinen Befunden über die Einzelanalysen hinaus eine theoretische Fasson zu geben. Seine Überlegungen bestechen durch eine unprätentiöse, angenehm lesbare Diktion, die allenfalls etwas zu wortreich ihre Fundstellen umkreist. Aus solchem Holze sind - oder waren - Vorlesungen geschnitzt, konzentrische, vor Wiederholungen und Behelfskonstruktionen nicht zurückscheuende intellektuelle Exerzitien. Zu den Eigentümlichkeiten dieser Arbeitsform zählte, daß sich ihre Ergebnisse, zur Buchform geglättet, etwas spröde ausnehmen, weil sie nur wenig vom denkerischen Geschehen vermitteln. So gesehen, mag es sogar von Vorteil sein, daß in diesem Falle dem Autor nicht vergönnt war, sein Gedankengebäude durch ein Gerüst aus Fußnotengelehrsamkeit sturmfest und einwandsimmun zu machen.
Alexander Honold in der „FAZ“ (27.05.05)
[...] Wenn ein Buch, dessen Konzept auf das Jahr 1960 zurückgeht, erst jetzt erscheint, nimmt es sich fremd unter den heutigen Publikationen zu Kleist aus. Aber auch diese wirken im Kontrast zu dem alt-neuen Beitrag fremd und, gemessen an der Energie und Geschlossenheit von Allemanns Fragment, fragwürdig. [...] In der Tat muß sogar der skeptische Leser zugestehen, daß er der detaillierten und dennoch weitgespannten Argumentation in diesem Buch wenig entgegenzusetzen hat. Diesem verschafft der kantianische Stil von Begriffserklärung, Beobachtung, Folgerung, Erwägen von Alternativen ein Maß an Schlüssigkeit, wie es in germanistischen Abhandlungen selten ist. [...] Allemann stellt den seltenen Fall eines Interpreten dar, der seine Befunde so überzeugend gewonnen und dargelegt hat, daß sie ihm eine Deutung verbieten.
Heinz Schlaffer in „Poetica“ (2005, Heft 3-4)
[...] the integrity and rigour of his approach shine through and there are many fine and challenging points to be found in these interpretations, especially in the close reading of the 'Amphytrion' and 'Homburg' chapters.
Hilda M. Brown in „Arbitrium“ (1/2008)
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