Der Kritiker Leo Berg (1862-1908) ruft 1886 den literarischen Verein „Durch!“ ins Leben, der sich schnell zum Gründungsforum des Berliner Naturalismus entwickelt. Seinen Mitgliedern öffnet Berg die Spalten der reformburschenschaftlichen Zeitschriften, die er seit 1885 redigiert. Darüber hinaus gibt er 1887/88 zusammen mit dem Germanisten Eugen Wolff die Litterarischen Volkshefte – eine Reihe von Abhandlungen zum „Princip der Moderne“ - heraus. Mit der Hinwendung zur Philosophie Nietzsches vollzieht sich ab 1889 ein leichter Kurswechsel in Bergs ästhetischer und literaturpolitischer Orientierung. „Naturalismus“ ist für ihn fortan nur eine von mehreren Qualitäten großer Literatur. Entsprechend flexibel, ja kompromissbereit zeigt sich Berg in seiner Mitarbeit in der Freien Litterarischen Gesellschaft (Berlin), als Herausgeber der kurzlebigen Zeitschrift Die Moderne und als Mitherausgeber der Anthologie Moderne Lyrik (1892).
Unter dem Pseudonym „Leo Gorel“ warnt der bekennende Jude Berg frühzeitig vor den Gefahren des Antisemitismus. Bergs aufklärerisches Anliegen tritt in späteren Schriften in zunehmende Spannung zu kulturpessimistischen Tendenzen und einer Resignation vor dem „Stumpfsinn, der über Deutschlands Geist brütet.“
Die Edition versammelt alle erreichbaren Briefe von und an Berg im Zeitraum 1884-1891 aus 23 in- und ausländischen Archiven und Bibliotheken sowie aus Privatbesitz. Sie erlaubt damit erstmals einen Überblick über die Fülle der publizistischen und organisatorischen Aktivitäten eines führenden ‚Netzwerkers‘ der Moderne, aber auch über den persönlichen Charakter mancher Beziehungen (vor allem zu Hartleben und Hauptmann).
Die anschließende Auswahl von Kritiken und Essays zu Werken und Themen des Naturalismus führt die unterschiedlichen Facetten vor, die der Interpretationskünstler Berg diesem Leitbegriff der Moderne abgewinnt.
Im Netzwerk der Moderne:
Leo Berg
Briefwechsel 1884-1891
Kritiken und Essays zum Naturalismus
Herausgegeben und eingeleitet von Peter Sprengel
2010
ISBN 978-3-89528-734-3
310 Seiten
Klappbroschur
Peter Sprengel, Professor für Neuere deutsche Literatur an der FU Berlin, ist mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Gerhart Hauptmann und der Berliner Moderne sowie mit einer zweibändigen Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870-1918 hervorgetreten. Im Aisthesis Verlag erschienen von ihm die Monographie „Von Luther zu Bismarck“ (1999) und die Edition des Briefwechsels Loerke - Hauptmann (2006).
Leseprobe: 9783895287343.pdf
[… die Briefe] zeichnen [...] ein lebendiges Bild der organisatorischen und personalen Beziehungen von der Postulierung der Moderne in der Vereinigung Durch! bis zur Hegemonialisierung der Naturaliusmusdiskussion durch die Gruppe um die Freie Bühne. Der letzte Teil bringt eine Edition schwer zugänglicher Texte, meist Kritiken, und abschließend zwei Auszüge aus größeren Arbeiten, die Bergs Position illustrieren und die Wertigkeit weiterer Auseinandersetzung mit seinem Werk verdeutlichen sollen. Dies gelingt eindrücklich.
Lothar Schneider in „Germanistik“ (2010, Heft 3-4)