Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kommt es zu einem regelrechten Parodienboom, insbesondere im Bereich Drama und Theater. Die theatrale Parodie, deren Medien Kabaretts und Kleinkunstbühnen, Zeitschriften, Anthologien, Buch- und Heftreihen sind, verabschiedet das Alte und weist den Weg zum Neuen, Modernen, das seinerseits parodistische Reaktionen auslöst. Sie besitzt einen Funktionsort im Entstehungsprozess des modernen Dramas und Theaters: einen Ort, an dem Theater über Theater stattfindet, Theater verhandelt, verabschiedet, vernichtet wird, an dem die Entwicklung des Theaters vorangetrieben wird.
Parodie und Moderne koinzidieren. Ist die Parodie modern oder gar die Moderne parodistisch? Ist die Parodie Phänomen der Moderne, Katalysator der Moderne, das andere Gesicht der Moderne? Jenseits formelhafter Zuspitzungen lotet die vorliegende Studie den kultur-, literatur- und theatergeschichtlichen Funktionszusammenhang von Parodie und Moderne aus, der immer neu und anders modelliert erscheint.
In Auseinandersetzung mit Positionen der Moderneforschung, Parodietheorie und Theatersemiotik wird zunächst ein differenziertes Parodiemodell erarbeitet. Ein historischer Rückblick auf die Theater- und Parodiekultur des 19. Jahrhunderts erhellt die Voraussetzungen des parodistischen Aufschwungs der Jahrhundertwende. Der Hauptteil der Studie ist den theatralen Parodien selbst gewidmet, die im Zeitraum von 1870 bis 1914 gefunden oder belegt werden konnten. Repräsentative Einzelanalysen geben Einblick in Parodien des alten sowie des neuen – naturalistischen und symbolistischen – Theaters. Durch statistische Daten und kontrastierende Vergleiche kommt zudem eine breite Materialbasis in den Blick: Das Korpus umfasst 600 Parodien, dokumentiert in einem ausführlichen Anhang.
Nikola Roßbach
Theater über Theater
Parodie und Moderne 1870-1914
2006
ISBN 978-3-89528-543-1
491 Seiten
kartoniert
Nikola Roßbach ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Darmstadt; dort wurde die vorliegende Studie im Sommer 2005 als Habilitationsschrift angenommen. Zahlreiche weitere Veröffentlichungen zur deutschsprachigen Literatur- und Kulturgeschichte des 17. bis 20. Jahrhunderts. Die Verfasserin ist Mitherausgeberin des interdisziplinären Online-Journals metaphorik.de.
Leseprobe: lp-9783895285431.pdf
[...] ein Desiderat der (theaterhistorischen) Forschung. Bereits das Quellenkorpus von insgesamt 600 Parodien, das Roßbach ihren Untersuchungen zugrunde legt, lässt vermuten, dass hier nicht nur Aufschluss über parodistisch vermittelte Traditionsbewahrung und -pflege beziehungsweise literarische Innovationsschübe gegeben wird. Den Leser erwartet ein weites Spektrum an Formen und Funktionen literarischer Prozesse, die beispielhaft die gemeinhin als literarisch-kulturelle Zeitenwende und Umbruchszeit etikettierte Epoche um 1900 dokumentieren. [...] Souverän meistert Roßbach die Schwierigkeit, dem umfangreichen Quellenkorpus gerecht zu werden, wenn für die exemplarischen Analysen repräsentative und aussagekräftige Parodien ausgewählt werden müssen. Sie orientiert sich an ausgewählten Analysekriterien, die stets am Material geprüft und hinterfragt werden: Die Systematik bleibt flexibel, unterwirft die Quellen nicht einem vorgefertigten Interpretationsschema und bannt somit die Gefahr vorschneller Urteile über die oft nur vermeintliche Sprengkraft parodistischer Persiflagen im Prozess literarisch-kultureller Erneuerung. [Die] Analysen berücksichtigen alle Ebenen parodistischer Karikatur auf inhaltlicher, formaler und pragmatischer Seite. Selbst die für Theaterparodien wichtigen para-, nonverbalen und selbst "olfaktorischen" (!) Aspekte werden anhand von Regieanweisungen oder zeitgenössischen Aufführungsberichten nachgezeichnet und für die Interpretation nutzbar gemacht. [...] Roßbachs Arbeit ist Dokumentation, Darstellung und Interpretation der Parodie auf Drama und Theater um 1900 - profund recherchiert und analysiert, reich an Einsichten und nicht zuletzt in sicherem, gut lesbarem, zuweilen sogar schwungvollem Stil geschrieben [...].
Almut Vierhufe in „literaturkritik.de“ (März 2007)
Vollständig nachzulesen: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10495
[...] Die ebenso materialreiche wie amüsante Studie kann in ihrem Ausblick die Wirkung der Theaterparodie auf das moderne Theater, das in vielerlei Hinsicht parodistisch ist, überzeugend nachweisen.
Sigrid Bauschinger in „Germanistik“ (Heft 3-4/2006)
[...] Roßbach’s research opens the door for a good deal of intriguing future work on humor and theatrical experimentation around 1900.
Alan Lareau in „Monatshefte“ (No. 3, 2007)
[...][eine] großangelegte[] und materialreiche[] Studie, die einen wesentlichen Bereich des modernen deutschen Dramas und Theaters erstmals im vollen Umfang erschließt [...].
Erwin Rotermund in „Zeitschrift für Germanistik“ (2/2008)
[...] Im Rahmen einer differenzierten Darstellung parodietheoretischer Fragen [...] entwirft Roßbach ein „Set“ von neun Parodieaspekten, darunter etwa Referenzialität als intertextuelle Lesestrategie, aber auch nichtsprachliche ‚theatrale‘ Zeichenkomplexe, die in der Parodiepraxis dieser Epoche erst recht zur Geltung kommen. [...] [Sie] leistet einen durchaus verfechtbaren Beitrag zur Parodiediskussion.
Gilbert Carr in „Nestroyana“ (2008, Heft 1/2)