Häufig ist von Männern und Frauen gefragt und debattiert worden, ob es ein spezifisch weibliches Schreiben gebe. Allerdings wird unter den theoretischen Prämissen der jüngeren Gender-Forschung diese Fragestellung beargwöhnt. In ihren Fallstudien zu dichtenden Liebespaaren des frühen 20. Jahrhunderts setzt Dorothee Ostmeier neue Impulse für den weiteren Umgang mit dieser bis jetzt weitgehend nur impliziten Frage. Ostmeiers Analysen und Reflexionen zeigen, dass diese oft dialogisch engagierte Lyrik in wechselndem Maße bereits das Niveau gegenwärtiger Theoriebildung erreicht hat. Feministische Theoreme Irigarays, Butlers und anderer werden hier nicht auf Gedichte angewandt, sondern anregende Detaillektüren entfalten neben dem lyrischen auch das theoretische Potential der Gedichte und Texte.
Dorothee Ostmeier
Poetische Dialoge zu Liebe, Gender und Sex im frühen zwanzigsten Jahrhundert
Else Lasker-Schüler, Peter Hille und Gottfried Benn, Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht und Margarete Steffin
2014
ISBN 978-3-8498-1036-8
305 Seiten
kartoniert
Dorothee Ostmeier lehrt als Professor of German and Folklore an der University of Oregon in Eugene. Zudem arbeitet sie in den Fachbereichen Komparatistik sowie Gender and Women Studies mit. Ihre Lehre und Forschung konzentrieren sich auf die Grenzzonen zwischen Literatur, Kultur und Philosophie vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Neben Studien zu Nelly Sachs' sprachphilosophischer Poetik veröffentlichte sie Essays zur Politik des Phantastischen und zu Gender-Konstruktionen in Texten des frühen 20. Jahrhunderts.
Leseprobe: 9783849810368.pdf
Die Liebe als Grundkonstante des menschlichen Zusammenlebens gehört zu den universal verständlichsten Inhalten der Dichtung. Doch lassen sich an der Liebeslyrik auch die historischen Wandlungen gesellschaftsphilosophischer Diskurse ablesen. Das leistet eine Forschung Dorothee Ostmeiers, die an der Universität von Oregon in Eugene/USA lehrt. […] [Sie geht] der Frage nach, ob in der Lyrik dieser Zeit bereits jene Sex- und Gender-Problematiken aufscheinen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Theorien von Luce Irigaray, Julia Kristeva, Judith Butler oder Emmanuel Levinas prominent werden sollten. […][Einige zu diskutierende] Punkte stellen die großen Verdienste der Arbeit nicht in Frage. Sie sollte jedoch nicht als Persönlichkeitsbild von Prominenten gelesen werden, sondern als Analyse, die eine große historische Umbruchsituation der Sex- und Genderproblematik auf der Ebene der Sprache verfolgt.
Sabine Kebir in „junge Welt“ (25.09.2014)
Das Anliegen von Dorothee Ostmeiers Monografie [...] ist es, „die simultane Verschränkung von diskursiven Referenzen und autonomer Performanz der Lyrik“ anhand poetischer Zwiegespräche einander liebender AutorInnen aufzuzeigen. [...] Das Interesse der Autorin gilt nicht nur einem einzigen, sondern vier Paaren, [...]. Jedem der Paare ist ein eigenes Kapitel gewidmet. In ihnen zeigt Ostmeier, „wie die jeweiligen Gedichte die Kontakte der liebenden Partner kommentieren, reflektieren, expandieren oder modifizieren“. Hierzu unterzieht sie etliche Gedichte und andere Werke close readings, die sich regelmäßig als sehr erhellend erweisen. [...] Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Gedichte vor dem Hintergrund feministischer Theorien aus dessen letzten Jahrzehnten zu beleuchten, erweist sich als durchaus fruchtbar. [...] Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Analysen der poetischen Dialoge und die close readings einzelner Werke [...] durchaus erhellend sind. Vor allem ist es instruktiv, die in den Gedichten verborgenen gender- und liebestheoretischen Vorstellungen vor dem Hintergrund poststrukturalistischer feministischer Theorien hervortreten zu lassen – ohne dass man darum jedoch gleich von einer Vorwegnahme dieser durch jene sprechen müsste.
Rolf Löchel in „Gender - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft“ (3/2016)